Josef Loretan Futter für AlleFELIX: Das ist seit bald fünf Jahren das Kunst-Projekt, das der Berner Künstler Alain Jenzer auf dem kleinen Platz beim Vidmarareal kuratiert hat. Viele Erinnerungen werden bleiben, wenn dieses Experiment nun mit der letzten Intervention zu Ende geht. Sie heisst „Futter für Alle“ und wird vom Gastkünstler Josef Loretan realisiert. Loretan trennt die beiden Metallrahmen der FELIX-Plakatwand und formt daraus eine klassische Futterkrippe. Diese ist mit Heu gefüllt. Vielleicht lockt sie in diesen kalten Tagen Rehe aus dem nahen Wald an, wer weiss; das wäre eine schöne Verbindung von Kunst und Natur, von bäuerlicher Urtümlichkeit und zeitgenössischer Agglomerationsarchitektur.Wenn die Futterkrippe nun bis im Frühjahr während Monaten dasteht, ist sie zugleich ebenfalls ein Erinnerungsbild. Sie wird daran erinnern, wie Loretan am 25. November, eine Woche vor dem 1. Advent, vom Carba-Areal herkommend zur Futterkrippe zog, der Künstler mit einem Esel. Auch ein archaisches Bild, das an die alte Tradition der Säumerei in den Bergen erinnert, die vor Eisen- und Autobahnen das wirtschaftliche Rückgrat im Austausch von Süd und Nord bildete. In der Tat ist Loretan vor zwei Jahren mit Eseln von Italien über den Simplon gezogen, woraus eine äusserst poetischer Film entstanden ist.Der Vidmar-Esel trägt auch ein wenig vom Simplon mit sich. An seinem Hals hängt und bimmelt eine Eselsglocke mit einer ganz speziellen Form, eine Art Eselskulptur ist es. Loretan hat die Form der Glocke einem alten Stahlstich entnommen, der einen Gebirgszug im Simplongebiet zeigt. Die Silhouette der Berge ergab die Silhouette der Glocke, die, zuerst in Gips geformt, in Bronze gegossen und schliesslich spiegelverchromt wurde. In den Windungen der Glocke spiegelt sich die Umgebung, wechselnde Bilder aus dem Vidmarareal erscheinen so auf der Simplonglocke. Auch jene, die bei der Vernissage dabei sind, können sich im Eselsglocken-Simplon spiegeln: Köniz grüsst Italien und das Wallis.Der Esel ist in der Kunst seit Jahrhunderten ein wiederkehrendes Motiv. So bei Rembrandt auf einem Gemälde, das den Propheten Bileam mit seinem Esel zeigt: Gott warnte Bileam, Israel zu verfluchen, und als Bileam dennoch sich aufmachte, versperrte ein Engel den Weg. Der Esel bockte, Bileam schlug, Gott gab dem Esel die Gabe, sich in der Menschensprache zu beklagen: kluger, nicht dummer Esel. Dass der Esel in der Weihnachtsgeschichte und bei der Flucht von Maria und Joseph nach Ägypten eine Rolle spielt und dementsprechend in unzähligen Gemälde vorkommt, dürfte bekannt sein. Ferdinand Hodler schliesslich malte verschiedene Varianten der Fabel von Müller, Sohn und Esel. Die Eselsglockenkleinskulptur von Josef Loretan ist nicht das erste Objekt dieser Art des aus dem Wallis stammenden, in Bern lebenden und lehrenden Künstlers. So hat er beispielsweise, es ist schon fast zehn Jahre her, die Silhouette der Mischabelgruppe zu einer spiegelnden Kuhglocke geformt. Diese wurde während eines ganzen Sommers von einer Kuh auf einer Oberwalliser Alp getragen. Derart schafft Loretan in den Spiegelungen eine neue Art von Landschaftskunst oder, mit den mobilen Silhouetten der Glocken, bewegliche Land Art.(Konrad Tobler, November 2017)